Knabenchor-Gipfel
Auch in Krisenzeiten muss die Kulturförderung nicht zwingend zurückgefahren werden. Das bewiesen zumindest im 17. Jahrhundert die Leipziger Ratsherren, indem sie den vielen musikalischen Aktivitäten in ihrer Stadt sehr aufgeschlossen gegenüber standen. Trotz wahrhaft existenzieller Sorgen während des 30-jährigen Krieges förderten sie großzügig die Kirchenmusik und den Lehrbetrieb an der Thomasschule. Musikalisch begabte Knaben aus ganz Mitteldeutschland strömten daher nach Leipzig, um hier eine profunde Ausbildung zu erhalten. Etliche prominente Komponisten der Zeit sahen diese Kulturpolitik als beispielhaft an und bescheinigten dies der Stadtregierung in den Widmungen ausgewählter Werke.
Thomaskantor Johann Hermann Schein etwa dezidierte seine 1623 veröffentlichte Motettensammlung »Fontana d’Israel, Israels Brünlein« seiner »lieben Obrigkeit, unter dero großgünstigen Bestallung, Favor und Beneficenz ich mich, gottlob, noch bis dato dankbarlichst befinde«. Die 26 Werke des Bandes sind jeweils mit fünf Vokalstimmen und Basso continuo besetzt und präsentieren die höchst künstlerische Verbindung zwischen der deutschen Motettentradition des späten 16. Jahrhunderts und der modernen, expressiven Tonsprache des italienischen Madrigals nach dem Vorbild Monteverdis.
Ein Vierteljahrhundert später wurde dem Leipziger Rat erneut eine ehrenvolle Widmung zuteil. Diesmal kam sie aus Dresden, vom dortigen Hofkapellmeister Heinrich Schütz, der seine Sammlung »Geistliche Chormusik« dem »Bürgermeister und Rat der Churfürstlichen Stadt Leipzig« zueignete. In genüsslicher Ausführlichkeit drückt Schütz in der Widmung seine Bewunderung aus, dass der »Musicalische Chor zu Leipzig, in diesen Hochlöblichsten Churfürstenthum allezeit vor andern einen großen Vorzug gehabt, und jedes Mal fast wohl bestallt gewesen ist.« Auch diese Sammlung mit 29 Motetten ist wegweisend, Schütz gelingt es mit großer Liebe zum Detail, die religiösen Texte überragend musikalisch auszulegen.
Als schließlich Johann Sebastian Bach 1723 das Amt des Leipziger Thomaskantors antrat, sorgte er zwar mit seinen vielen Kantaten für ein vollkommen neues Repertoire, ließ aber parallel auch die traditionelle Motettenkultur nicht außer Acht und schuf mit »Jesu, meine Freude«, »Singet dem Herrn ein neues Lied« und einigen weiteren A-Cappella-Kompositionen noch einmal Spitzenwerke für diese Gattung.
Die Werkgruppen von Schein, Schütz und Bach zählen inzwischen zur festen DNA des Thomanerchors, aber auch vieler weiterer Chöre. Anlässlich des 400. Geburtstags der ältesten dieser Sammlungen – Scheins »Israelsbrünnlein« – und des 300. Jubiläums von Bachs Amtsantritt in Leipzig werden beim Bachfest gleich vier Knabenchöre aus diesen Werken singen. Neben den Thomanern kommen der Dresdner Kreuzchor, der Knabenchor Hannover und der Windsbacher Knabenchor. Ein stimmliches Gipfeltreffen der besonderen Art!
Do, 15. Juni / 20.00 h / Thomaskirche / Jauchzet dem Herrn / No 106
Fr, 16. Juni / 20.00 h / Nikolaikirche / Selig sind die Toten / No 125
Sa, 17. Juni / 17.00 h / Peterskirche / Ich lasse dich nicht / No 142
So, 18. Juni / 15.00 h / Nikolaikirche / Jesu, meine Freude / No 159